Architekturfotografie:
Ideal mit einem Tilt-Shift-Objektiv
Tilt-Shift Objektive verfügen über zwei zusätzliche Eigenschaften, die eine normale Festbrennweite oder ein Zoom-Objektiv nicht haben. Sie ermöglichen die Schärfeebene über das Bild hinweg zu „Tilten“ (neigen / kippen) oder den Blickwinkel zu „Shiften“ (verschieben). Klingt kompliziert, ist es aber eigentlich nicht, wenn man die Funktionsweise einmal verstanden hat.
Bei meinem Trip nach Barcelona (Galerie) gab es viele Gelegenheiten das Tilt-Shift-Objektiv zu verwenden. Was für viele Fotografen immernoch störend ist sind die sogenannten „stürzenden Linien“ in den Bildern. Bei dem Einsatz von Tilt-Shift-Objektiven kann man diese perspektivischen Effekte korrigieren ohne später die Fotobearbeitung am PC bemühen zu müssen.
Die Tilt-Funktion des Tilt-Shift Objektivs
Mittels der Tilt-Funktionalität (neigen / kippen) ermöglicht es das Objektiv Aufnahmen zu machen, die den bekannten Miniatur-Effekt ermöglichen. Beim Betrachten des Bildes entsteht der Eindruck, als sei die Realität eine Miniatur-Welt, weil nur ein kleiner Bildstreifen scharf abgebildet wird und der Rest nicht mehr im Fokusbereich liegt.
Bei der Tilt-Funktion eines Tilt-Shift Objektivs hat man die Möglichkeit die optische Achse zu knicken. Vielleicht hat jemand schon von der Scheimpflug Regel gehört, die bei diesem Objektiv zur Anwendung kommt. Ich möchte euch aber nicht mit optischer Physik langweilen, sondern versuchen es leicht verständlich zu erklären:
Bei einem normalen Objektiv erscheint die Ebene des Bildes (die Entfernung vom Sensor), welche parallel zur Sensorebene ist. Sprich, alles, was sich z.B. 5 Meter von der Kamera entfernt befindet wird scharf abgebildet. Fotografiert man nun einen Gegenstand der eine gewisse Tiefe hat, so muss man gezwungenermaßen relativ weit abblenden, um einen Bereich zu erhalten, der scharf genug ist. Ist dieses nicht möglich, da sich das Objekt bewegt und die Verschlusszeit bei starkem abblenden (schließen des Objektivs) zu lang wird, hilft die Tilt-Funktionalität weiter.
Die Lösung des Tilt-Shift Objektivs für diese Problematik ist das “Knicken” des Objektivs. Es wird so ein größerer Schärfebereich erreicht, weil die scharfe Ebene nicht mehr parallel zur Sensorebene, sondern jetzt schräg liegt, also dem Objekt angepasst wurde.
Die Shift Funktionalität des Tilt-Shift Objektivs
Mittels der Shift-Funktionalität (verschieben) ermöglicht es das Objektiv Aufnahmen zu machen, die es ermöglichen Panoramaaufnahmen nahtlos zusammenzufügen.
Wichtig hierbei ist die perspektivische Korrektur der Gebäudelinien. Stürzende Linien entstehen, wenn man versucht ein Gebäude zu fotografieren und die Kamera nach oben ausrichtet statt die Linsenachse parallel zum Boden zu belassen.
Beachtet man dies nicht, erhält man ein Ergebnis, wie es in dem Beispielbild oben links zu sehen ist. Bei der Architekturfotografie ist es daher wichtig, dass
- das Gebäude ganz auf dem Bild sichtbar ist und
- das Objektiv parallel zum Boden ausgerichtet bleibt.
Durch die Shift Funktion des Objektivs kann man die Linse (bzw. die optische Achse) ein Stück verschieben, so dass der optische Eindruck entsteht, dass man selbst seinen Standort ändert und plötzlich erhöht vor dem Objekt steht. Somit erreicht man eine perspektivische Wirkung die dem normalen menschlichen Betrachten ähnelt und als angenehmer und natürlicher empfunden wird. Die stürzenden Linien verschwinden und die Wände des Gebäudes erscheinen normal und grade.
Das ganze klingt kompliziert, aber stellt euch vor, Ihr fotografiert einen Spiegel und wollt die Perspektive der Frontalansicht gerne beibehalten, aber euch selbst und die Kamera nicht im Spiegel sehen. Die Lösung ist hier, die Kamera unterhalb des Spiegels zu positionieren und das Objektiv nach oben zu „shiften“. So sieht es so aus, als würde der Fotograf direkt vor dem Spiegel stehen, aber das Spiegelbild bleibt aus, da die Kamera in Wirklichkeit unterhalb des Spiegels steht.
Für Tilt-Shift Aufnahmen verwende ich ein 17mm Tilt-Shift-Objektiv von Canon:
Alternativ, wer mit Nikon fotografiert findet hier auch die passenden Objektive:
Oder die Ober Luxusklasse von Schneider:
Bei der üblicherweise in der Architekturfotografie verwendeten Brennweite rate ich zu einem weitwinkliges Objektiv bis 24 mm, da man selten für Architekturfotografie ein Teleobjektiv verwendet, es sei denn, die Landschaft im Hintergrund soll komprimiert werden.
Ich hoffe, dieser kleine Artikel zeigt, wie man Tilt-Shift Objektive für Produkt oder Architekturfotografie einsetzen kann.
Solltet Ihr noch Fragen haben, so könnt Ihr mir gerne einen Kommentar am Ende des Artikels hinterlassen und ich beantworte die Fragen gerne :-).
Hallo
Danke für den tollen Beitrag!
Ich würde gerne mal ein TS von Canon mieten zum ausprobieren. Was soll ich mieten das 17mm oder das 24mm – es ist für Innenaufnahmen..?! …oder kann ich auch ein 16-35mm 2.8 von Canon dazu verwende..?!
Machst du immer mehrere Bilder uns setzt diese zusammen..?!
Danke
Gruss Mario
Hallo,
ich würde Dir für Innenaufnahmen das 17mm ans Herz legen. Wenn Du eine Crop-Format-Kamera hast, dann ist jeder mm Brennweite nützlich und auch auf einer Vollformat Kamera spielt das 17mm seine Stärken aus. Der Vorteil von einem Tilt-Shift Objektiv ist ja auch, dass Du shiften kannst, um z.B. Bilder aneinander stitchen zu können. Ferner ist es bei Architektur auch wichtig, dass Wände grade verlaufen. Dieses würdest Du mit dem 16-35mm nicht erreichen können.
Das Bild, was hier auf dem Artikel zu sehen ist, ist mit dem 17mm gemacht und ich habe ein Bild aus der mittleren Stellung und einmal nach Oben geshiftet zusammengefügt.
Ich hoffe, Dir haben die Antworten geholfen?
Hallo 🙂
Danke für den interessanten Beitrag. Ich überlege mir gerade, ob ich ein Tilt&Shift Objektiv zulegen soll.
Ich arbeite seit kurzem als Architekt und hatte in meinem Studium ein Modul über Fotografie. Allerdings ging es in diesem Modul um Modell- und nicht Architektur-Fotografie.
Da ich nicht als Fotograf arbeite, scheue ich mich ein wenig ab den hohen Kosten in Kombination mit einer gewissen Unsicherheit, ob sich die Investition lohnt. Ich würde mir gleich noch ne Vollformat-Kamera zum T&S-Objektiv kaufen. Darum hoffe ich hier auf einen hilfreichen Input zu meinen Unsicherheiten.
Unsicher bin ich, ob ich mich für das 17mm oder das 24mm Objektiv von Canon entscheiden soll. Ich würde das Objektiv vorwiegend für mittlere und kürzere Distanzen verwenden (Einfamilienhäuser, Mehrfamilienhäuser). Hochhäuser werde ich wohl selten fotografieren.
Auch würde ich das Objektiv für Innenaufnahmen verwenden.
Beim 17mm Objektiv habe ich bedenken, dass durch den grossen Bildwinkel das Bild unnatürlich wirkt, respektive der Raum unrealistisch dargestellt wird. Besonders bei den Innenaufnahmen. Sind meine Bedenken gerechtfertigt?
Es gibt ja auch so Extender zwischen Objektiv und Body. Wäre das eine mögliche Kombination, um den Bildwinkel der Innenaufnahmen „zu entschärfen“? Oder ist das keine sonderlich kluge Idee?
Leider besitze ich nur Halbwissen. Ich hoffe ihr könnt mir ein paar nützliche Tipps geben. 🙂
Liebe Grüsse Lighty
Hallo,
ich würde in dem Fall zum 17mm greifen, da Du in Innenräumen vermutlich jedes mm brauchst. Ein 24 Tilt Shift ist da vermutlich nicht weitwinklig genug.
Wenn Du einen Zwischenring in das Tilt-Shift nimmst, dann passt die Shift Funktion nicht mehr, da dieses Objektiv nicht mit Zwischenringen benutzt werden kann. Ferner bekommst Du durch Zwischenringe auch eher eine kleinere Naheinstellgrenze, wenn ich mich nicht irre und das willst Du eigentlich nicht wirklich bei der Architekturfotografie (eher Makro-Fotos).
Deiner Email-Adresse zu Urteilen kommst Du aus der Schweiz und ich würde Dir ggf. raten einfach mal ein 17 und 24mm Tilt-Shift auszuleihen und mit dem Händler zu vereinbaren, dass man den Leihpreis irgendwie auf den Kauf anrechnen kann. Dann stellst Du in deiner Eigenen Wohnung mal deine Arbeit nach und probierst die Objektive aus, dann wirst Du sehr schnell feststellen, dass Du vermutlich das 17er nehmen wirst. So verlierst Du nichts und weisst, Du hast das für dich praktischte gekauft.
Klingt doch vernünftig oder?
Das ging aber mal fix. Super danke.
Ein Leih-Objektiv wäre wohl das Vernünftigste. Ich habe da aber so ein paar Zweifel an meiner Vernunft. 😉
Das mit dem Zwischenring habe ich mir schon gedacht. Ich war nur der Meinung das mal irgendwo in Zusammenhang mit T&S-Objektiven gelesen zu haben.
Danke für die hilfreiche Antwort und einen schönes Wochenende.
Grüsse aus der Schweiz
Naja,Vernunft ist auf jeden Fall mehr auf die Objektive zu achten, als auf den Body. An einem Objektiv hat man durchaus 15-20 Jahre was, an einem Body nur 2-3 bei der derzeitigen Entwicklung!
Ich stehe vor einem 50m Turm. Die ersten 25m kann ich mit dem TS Objektiv abbilden. Was soll ich mit den oberen 25m anstellen, wo ich die Sensorebene nicht mehr parallel halten kann.
mfG
Rohringer Otto
Hallo Otto,
also da gibt es eigentlich nicht sonderlich viel, was man dann machen kann, aber generell gesagt bietet sich folgendes an:
a) Brennweite verringern (ich weiss nicht, welches TS Objektiv Du nutzt 17mm statt 24mm)
b) Ein TS mit mehr Shift nutzen
c) in ein Gebäude gehen, um den eigenen Standort zu erhöhen und dann den Turm per Shift nach unten und nach oben komplett zu fotografieren
d) mehr Abstand zum Turm wählen.
Irgendwann sind dann auch die technischen Grenzen erreicht.
Gruß,
Daniel
Super anschaulich und verständlich erklärt! Vielen herzlichen Dank!
hallo,
ich muss verstärkt pr reportagen auf baustellen dokumentieren und erhalte mit meinem normalen objektiv immer stürzende linien. daher bin ich am überlegen ein spezielles objektiv füpr diese arbeiten zu nehmen, da ich zum teil auch kaminanlagen im innenbereich fotografieren muss. welches objektiv würdes du mir hier empfehlen? ich arbeite mit einer nikon d 800.
grüße
rüdiger
Prinzipiell gilt hier das selbe:
a) Entweder auf ein Weitwinkel zurück greifen. Hier gibt es das exzellente 14-24mm von Nikon oder aber auch hier ein
b) Tilt-Shift Objektiv von Nikon oder einem anderen Hersteller, der für Nikon Bajonette fertigt.
Stürzende Linien vermeidet man am besten da durch, dass man die Kamera parallel zum Boden ausrichtet, so dass keine stürzenden Linien entstehen. Je nach verwendetem Brennweitenbereich muss man nun das Bild beschneiden, weil vermutlich viel zu viel Raum unten auf dem Bild ist.
Bei einem Tilt-Shift hat man die Möglichkeit noch die Bildebene nach oben zu schieben, so dass effektiv durch Stitching mehr vom Bild übrig ist und das ohne stürzende Linien.
Hallo!
Wenn ich mit einem Tilt Shift objektiv im Querformat fotografiere, maximal zu jeder Seite mit 12mm beispielsweise shifte und danach ein Panorama daraus baue, welchen Winkel erhalte ich dann in der horizontalen bildbreite ?
Beste Grüße, Timo
Hallo,
interessante Frage, aber um den Blickwinkel korrekt zu berechnen müsste man mehrere Bilder zusammen setzen und das Tilt-Shift Objektiv auch in alle möglichen Richtungen shiften. Wenn ich das Canon 17mm maximal in eine Richtung shifte, dann habe ich ca. 3/4 neues Bildmaterial und 1/4 altes Material. Daraus ergibt sich jeweils links und rechts noch ca. 1,5 mal der Blickwinkel des bestehenden Blickwinkels. Er wird also um den Faktor 1,5 erweitert. Jetzt bin ich mir selbst nicht so sicher, wie man das komplett berechnet, aber kann man dann Brennweite / 1,5 sagen? Würde bei einem 17 dann so in etwa um die 11 mm sein. Das ganze ohne Fischaugen-Optik. Vom Bauchgefühl könnte das stimmen, aber den mathematischen Beweis spare ich mir jetzt hier mal, da müsste ich selbst mal in meine Schulbücher schauen und mich stärker einlesen — ich hoffe, dass die Antwort ausreicht? Ansonsten wird es schnell recht mathematisch 🙂